Antonio Negri

(leider keine Quellenangabe, hab's selber von einer Kopie..., hm)

Exzerpt

Die Antimodernität Spinozas

(leider keine Quellenangabe, hab's selber von einer Kopie..., hm)

Spinoza der Romantiker

Negri stellt kurz die Rolle "eines bestimmten Spinoza" in der idealistischen-romantischen Philosophie vor. (Mendelsohn, Jacobi, Lessing, Goethe, Herder)

 

[43] Debatte Mendelsohn-Jacobi über Spinoza: Spinoza bleibt heterodox.

Die Mendelsohn-Jacobi-Debatte pfropft sich auf die Krise eines spezifischen philosophischen Modells auf und bringt eine Darstellung Spinozas hervor, die fähig ist, die spirituelle Spannung, die sich damals verschlimmerte, abzubauen [soulager] und die vorrangige [préalable] Systematik der Beziehung zwischen Vermögen und Substanz, Subjekt und Natur zu konstituieren." "Spinoza, der verrufene Spinoza, kommt in der Modernität als romantischer Philosoph an. – Herder, Goethe –

 

[44] Spinoza ist nicht nur die Gestalt der Romantik – sondern er konstituiert sowohl ihren Ausgangspunkt als auch ihren Endpunkt. Die romantische Rezeption Spinozas ist eine ästhetische: Wahrnehmung der Bewegung und der Vervollkommnung, der Dynamik und der Formen. Die Allmacht der Natur bricht sich [s’ébrecher] nicht mehr in der Tragodie des Gefühls, sondern die Allmacht der Natur triumphiert über das Gefühl durch die Herrschaft von vollkommenen Formen.

Fichte: Kant und Spinoza seien "völlig kohärent" – in der unaufhörlichen ontologischen Bewegung des Ich.

Schelling (der 1790er Jahre): dialektische Lösung des Gegensatzes von absolutem Ich und notwendigem Prozess im "spirituellem Automaten" der Beziehung zwischen Subjekt und Substanz. Der Ästhetizismus dieser Synthese besteht darin, das Vermögen und die Substanz, das Element der Produktion und die Produktionsform unaufhörlich auf Vervollkommnung hinzuführen.

Romantizismus nach Hegel: Der Romantizismus ist durch seine Fähigkeit gekennzeichnet,

- die reine Objektivität des Ideals und des Natürlichen als wahre Idee der Schönheit und der Wahrheit zu überwinden.

 

[45] Spinoza stellt in dieser romantischen ästhetischen Propädeutik des Schönen, die letztlich zum Absoluten führt, eine zentrale Gestalt dar.

 

Modernität gegen Romantik

Für Hegel erschöpft die Romantik und die Ästhetik nicht die Absolutheit der Welt – diese besteht vielmehr in der Wirklichkeit der Geschichte, der Modernität. Ihnen mangelt es an Wahrheit, an Reflexion, an (Reflexions)Bestimmungen. Die Unausmessbarkeit [incomensurabilité] des spinozistischen Seins ist das Zeichen eines Mangels an Bestimmung und Wahrheit. [Hegel, Logik, Mass; siehe Macherey, Hegel ou Spinoza]

Zwei Linien der Kritik Hegels an Spinoza:

 

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[47]

In der spinozistischen Substanz erkennt Hegel 1) die Fähigkeit sich als unmässiger Horizont des Realen zu repräsentieren, als Präsenz des Seins im allgemeinen; 2) bestätigt er das unmittelbare ästhetische Vermögen, das von der spinozistischen Substanz unablösbar ist, indem es auf seinem "in sich"-Charakter beharrt; 3) schreibt er der spinozistischen Substanz eine grundlegende Ungeeignetheit, sich in der Wirklichkeit zu erfüllen, d.h. sich in der dialektischen Dimension der Versöhnung des Realen aufzulösen, zu. Das bedeutet für Hegel, dass die spinozistische Konzeption des Seins romantisch ist, aus diesem Grund aber auch nicht modern. Die Modernität ist der Friede des Wirklichen, sie ist der Abschluss der Geschichte. Das Sein Spinozas und sein Vermögen sind unfähig, uns dieses Resultat zu liefern. [Vgl. Nancy, Hegel, 9f, bzw. 5: "Hegel ist der inaugurale Denker der heutigen Welt.", vgl. auch Zizek, Denn sie wissen nicht, 177f, bzw. 232f, vgl. auch Hegel, Recht, §360)]

 

Die Zeit der Moderne

 

[48] Hegelsche Kritik an der unbstimmten Zeit verläuft analog zu Polemik gegen die Ununterschiedenheit der Modi der Substanz.

 

 

[49] Hegel ist gezwungen, die substantielle Ambiguität seiner begrifflichen Konstruktion zu enthüllen. Der Rhythmus der transzendentalen Vermittlung Hegels überlagert das Auftauchen der Singularität, - er kann ihr nicht gerecht werden. Seine Dialektik möchte die Singularität an/enteignen, - das gelingt ihr aber nicht. Die Modernität enthüllt sich nicht nur als Gegner der Romantik, sondern bezeugt einen Willen, der um die Wiedererlangung der produktive Kraft der Singularität gebracht wurde. Diese Frustration setzt die Parameter der Herrschaft. Die Modernität wird bei Hegel das Zeichen der Herrschaft des Transzendentalen über das Vermögen, der beständige Versuch das Vermögen funktionell [funktionalistisch] [50] in der instrumentellen Vernunft der Macht zu organisieren. Eine doppelte Beziehung verbindet und trennt Hegel und Spinoza: für beide ist das Sein "voll" und produktiv. Dort aber, wo Spinoza das Vermögen in der Unmittelbarkeit und der Singularität fixiert, privilegiert Hegel die Vermittlung und die transzendentale Dialetik der Macht. In diesem Sinn, und nur in diesem Sinn, widersetzt sich die spinozistische Gegenwart dem hegelschen Werden. Die Antimodenität Spinozas ist keine Negaton der Wirklichkeit, sondern die Rückführung dieser auf das Dasein – die Modernität Hegels besteht in der entgegengesetzten Option.

 

Das Schicksal der Modernität

Das das Wirkliche, d.h. die Modernität die "unmittelbare Einheit von Wesen und Existenz, anders ausgedrückt, von Innen und Aussen in der Form der Dialektik" seien, – dieser Gedanke ist der Ursprung des Sturmes, den die philosophische Kritik der letzten zwei Jahrhunderte mitsichgebracht hat. Während und am Ende des 19.Jhs. der Philosophie in Deutschland trennten sich Substanz und Vermögen, Wirklichkeit und Dasein immer mehr. Das Vermögen wird zunächst als Antagonismus empfunden, sodann als irrational definiert. Die Philosophie transformiert sich nach und in ein sublimes Bemühen der Austreibung des Irrationalen/Unvernünftigen [l‘irrationnel], d.h. der Ablenkung des Vermögens. Dem ungestümen Hegelschen Willen, die dialektische Hegemonie der absoluten Substanz festzulegen [se fixer], setzt sich zunächst die Krise und der tragische Horizont entgegen. Weiters setzt sich diesem Willen die unaufhörliche Neigung, die transzendentale Teleologie zu erneuern entgegen. Dies geschieht in mehr oder weniger dialektischen Formen eines Hin-und-Her-Wechselns [alternation] in den Horizonten, die kontinuierlich immer wieder die kraftlosen, wenn auch wirksamen, Bilder der Modernität vorschlagen. (Marx und Nietzsche würden dieser Ironie nicht entkommen) Der Vorrang der Produktionsverhältnisse über die Produktivkräfte stammt aus der Hegelschen Utopie des Absoluten und zieht sich [51] den Anzug der reformistischen Teleologie an. Die Schemata der unbestimmten Dauer, i.G. zu denen des dialektischen Unendlichen, werden als Projekte der fortschrittlichen Vernunft der Herrschaft erneuert. Die Modernität wechselt die Bezüge, ohne das Bett zu wechseln. Und das schleppt sich immer weiter bis sich jede Erneuerungsfähigkeit erschöpft hat, indem tausend Arten der dürren, autoritären und utopischen Hegelschen Vorführung der Modernität erfunden werden, die versuchen, die abgenützten Schemata der Vernunft und der Transzendentalität zu ersetzen. Heidegger repräsentiere die extreme Grenze dieses Prozesses. Sein und Zeit-Zitat. Das Thema der Präsenz wird wieder zentral. Das Dasein ist die gebrochene Zeitlichkeit, die als Präsenz wiederentdeckt wird. [52] Die effectivité ist nicht mehr die Hegelsche Wirklichkeit, sondern die blosse Faktizität. Die Modernität ist das Schicksal. So endet das Hegelsche Thema der Modernität: Im Nichts, im Tod präsentiert sich die unmittelbare Einheit von Existenz und Wesen.

Also: Hegel -> Wirklichkeit -> Faktizität -> Tod -> Heidegger -> Ende

 

Tempus potentiae

[53] Heidegger sei aber nicht nur der Prophet des Schicksals der Modernität, sondern auch Verbidnungsglied zur Antimodernität. D.h. einer Zeitkonzeption als ontologisch konstitutives Verhältnis, das die Hegemonie der Substanz oder des Transzendentalen bricht und somit das Vermögen entdeckt. Die Entdeckung des Seins besteht nicht nur in der Tatsache des Ent-deckens dessen, was präexistiert, sondern in der Tatsache, die etablierte Autonomie des Daseins gegen und durch die disperisive Mobilität des "On" hindurch zu behaupten. Das Dasein ist Möglichkeit. Aber es ist gleichzeitig mehr als das: Sein-Können [pouvoir être]. Spinoza taucht inmitten dieser Artikulation wieder auf. Tempus potentiae. Das spinozistische Beharren auf der Präsenz erfüllt, [54] was Heidegger als einfache Möglichkeit bestehen lässt. Die Hegemonie der Präsenz im Verhältnis zum Werden, die die spinozistische Metaphysik von der Hegelschen unterscheidet, behautet sich neuerlich in der Fülle der Gegenwart vor der leeren heideggerianischen Gegenwart. Ohne je in die Modernität eingetreten zu sein, verlässt Spinoza sie, indem er die Zeitkonzeption umkehrt – in eine Zeit die positiverweise offen und konstitutiv ist. Die Liebe nimmt die Stelle der Sorge ein. Spinoza kehrt Heidegger systematisch um: der Angst setzt sich Amor entgegen, der Umsicht setzt sich die Mens entgegen, der Entschlossenheit die Cupiditas, der Anwesenheit der Conatus, dem Besorgen der Appetitus, der Möglichkeit die Potentia. Ausgehend vom gleichen Horizont eröffnen sich zwei Richtungen: Während Heidegger versucht, mit der Modernität zurandezukommen, zeigt Spinoza die unzähmbare Kraft (die niemals in die Modernität eingegangen ist) einer Antimodernität, die völlig in die Zukunft projiziert wird. Die Liebe drückt bei Spinoza die Zeit des Vermögens aus. Eine Zeit, die Präsenz ist, isofern sie konstitutive Aktion der Ewigkeit ist. Selbst im schwierigen und problematischen E5 sehen wir, wie sich dieser [55] Prozess konzeptuell bestimmt. Vor allem anderen ist die formale Bedingung der Identität der Präsenz und der Ewigkeit gegeben.

"Alles was der Geist unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit erkennt, das erkennt er nicht daraus, dass er die gegenwärtige wirkliche Existenz des Körpers begreift, sondern daraus, dass er das Wesen des Körpers unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit begreift." (E5P29, r671)

Dies wird noch durch folgenden Lehrsatz überboten:

"Insofern unser Geist sich und den Körper unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit erkennt, hat er notwendig eine Erkenntnis Gottes und weiss, dass er in Gott ist und durch Gott begriffen wird." (E5P30, r675)

Und wird im Lehrsatz erklärt:

"An dem, was wir nach der dritten Gattung der Erkenntnis erkennen, freuen wir uns, und zwar verbunden mit der Idee Gottes als Ursache. (...) Aus dieser dritten Gattung der Erkenntnis entspringt notwendig die intellektuelle Liebe zu Gott. Denn aus Gattung der Erkenntnis entspringt (...) Lust, verbunden mit der Idee Gottes als Ursache; d.h. (...) Liebe zu Gott, nicht insofern wir ihn uns als gegenwärtig vorstellen (...), sondern insofern wir erkennen, dass Gott ewig ist. Und das ist es, was ich intellektuelle Liebe zu Gott nenne." (E5P32 und Cor., r677 und 679)

Die Ewigkeit ist also eine formelle Dimension der Präsenz.. Doch unmittelbar darauf die Umkehrung und die Erklärung:

"Obgleich diese Liebe zu Gott keinen Anfang gehabt hat (...), hat sie doch alle Vollkommenheiten der Liebe, als ob sie so entstanden wäre, wie ich im Zusatz zum vorigen Lehrsatz angenommen habe." (E5P33Cor., r679)

Man muss hier aufpassen nicht in die Falle der Dauer zu tappen:

"Wenn wir auf die gemeinsame Meinung aller achten, sehen wir, dass sie sich zwar der Ewigkeit ihres Geistes bewusst sind, diese aber mit der Dauer vermengen und der Vorstellung oder der Erinnerung beilegen, die, wie sie glauben, nach dem Tode bestehenbleibt." (E5P34S, r681)

Parallel dazu:

"Diese Liebe des Geistes muss zu den Handlungen des Geistes gerechnet werden (...). Sie ist daher eine Handlung, durch die der Geist sich selbst betrachtet, verbunden mit der Idee Gottes als Ursache (...), d.h. (...) eine Handlung, durch die Gott, insofern er durch den menschlichen Geist ausgedrückt werden kann, sich selbst betrachtet, verbunden mit der Idee seiner selbst. Mithin ist (...) diese Liebe des Geistes ein Teil der unendlichen Liebe, womit Gott sich selbst liebt." (E5P36Dem.r683)

"Hieraus erkennen wir deutlich, worin unser Heil oder unsere Glückseligkeit oder unsere Freiheit besteht. Sie besteht nämlich in der beständigen und ewigen Liebe zu Gott oder in der Liebe Gottes zu den Menschen. (...) insofern sie auf Gott bezogen wird (...) ist sie Lust."

Diese Argumentation endet ohne jede Zeideutigkeit:

"Je mehr Vollkommenheit ein Ding hat, desto mehr tätig und desto weniger leidend ist es, und umgekehrt, je mehr ein Ding tätig ist, desto vollkommener ist es." (E5P40, r693)

Die Zeit des Vermögens wird also von der Ewigkeit konstituiert, insofern als die konstitutive Handlung in der Gegenwart besteht. Die hier vorausgesetzte Ewigkeit wird als Ergebnis dargestellt, als Horizont der Affirmation der Handlung. Die Zeit ist voll mit Liebe. Dem Nichts Heideggers entspricht die spinozistische Fülle – oder vielmehr das Paradox der Ewigkeit der Fülle der gegenwärtigen Welt, die Vortrefflichkeit der Singularität. Der Begriff der Modernität wird von der Liebe in Brand gesteckt.

 

 

 

Die Antimodernität Spinozas

"Diese Liebe zu Gott kann weder durch den Affekt des Neides noch der Eigfersucht getrübt werden, sondern sie wird desto mehr genährt, je mehr Menschen wir uns durch dasselbe Band der Liebe mit Gott verbunden vorstellen." (E5P20, r657)

Spinozas Antimodernität gesellt sich noch ein supplementäres Element hinzu, [57] das wesentlich in E4 und E5 gebildet wird. – Spinoza konstruiert die kollektive Dimension der Produktivkraft also der kollektiven Gestalt der Liebe zur Gottheit. – Ebenso wie die Modernität individualistisch ist und dazu gezwungen, von dieser Basis ausgehend das transzendentale Dispositiv der Vermittlung und der Neuzusammensetzung zu finden, so verneint Spinoza radikal jede Dimension, die dem konstitutiven Prozess der menschlichen Gemeinschaft äusserlich wäre, ihrer absoluten Immanenz. D.h. dass die intellektuelle Liebe Gottes die formelle Bedingung der Vergesellschaftung und das der gemeinschaftliche Prozess die ontologische Bedingung der intellektuellen Liebe Gotteses ist. Folglich ist es das Licht der intellektuellen Liebe, die das Paradox der multitudo und ihres Gemeinschaft-Werdens erhellt, denn nur die intellektuelle Liebe Gottes beschreibt die realen Mechanismen, die die potentia der multitudo zu leiten, sich als die Einheit einer absoluten politischen Ordnung zu bestimmen: die potestas democratica. Umgekehrt kann die Modernität die Demokratie nicht rechtfertigen. Die Modernität begreift die Demokratie immer las Grenze, also als Übergangsgestalt in der Perspektive des Transzendentalen. Das Hegelsche Absolute berücksichtigt nicht die kollektive Produktivkraft und die potestas, die aus ihr erwächst, da alle Singularitäten im Negativen verschwunden sind [ont été reduites en négativité].

 

[58] Daraus ergibt sich ein Demokratiebegriff, der immer notwendigerweise formal ist. Das wahre Ergebnis dieser Operationen ist nur, die Produktivkräfte (die singularen Instanzen, das Gemeinschaftsbegehren, die materiellen Produktionsbestimmungen) den Produktionsverhältnissen zu unterwerfen. Wie aber ist das möglich? In den spitzfindigsten Konzeptionen der Modernität wird das Herrschaftsverhältnis immer in die Kategorie der "Unabgeschlossenheit", [des "Noch-nicht-Erreichten" ?] [l‘inachevé] übersetzt, d.h. in einen vermittelnden Prozess, der die Präsenz entlang der Dauer reproduziert und sie in ihr verschwinden lässt.

In spinozistischer Perspektive gibt es das Wort des Unabgeschlossenen nicht. Seine Prozesse sind im Gegenteil immer abgeschlossen und immer offen und der Raum der sich zwischen dem Abschluss und der Öffnung darstellt ist jener des absoluten Vermögens, der absoluten Freiheit, des Weges der Freiheit. Die Verneinung der Utopie bei Spinoza verdankt sich der völligen Wiederherstellung des Vermögens der Befreiung vor dem Horizont der Präsenz. Die Präsenz verlangt den Realismus statt der Utopie. Entgegen dem, was Hegel wollte, weilen das Masslose und die Präsenz auf einem Terrain absoluter Bestimmung und absoluter Freiheit. Es gibt kein Ideal, kein Transzendental, kein unfertiges Projekt, das die Eröffnung ausfüllen könnte, das Masslose voll machen, die Freiheit befrieden/befriedigen. Die Eröffnung, das Masslose sind abgeschlossen, geschlossen in eine Präsenz, jenseits der es nur eine neue Präsenz geben kann. Die Liebe macht die Präsenz ewig, das Kollektiv macht die Singularität absolut.

 

[59] Die Antimodernität Spinozas explodiert hier auf unwiderstehliche Weise, als Analyse und Darstellung der in der Kollektivität konstituierten Produktivkraft.

Spinoza redivivus

Spinoza erobert einen Platz in der heutigen Philosophie gegen die Reduktion auf die Irrationalität und auf das Nichts. Er bietet uns ein aktives Paradigma. Der Spinozismus repräsentiert in Wirklichkeit seit immer schon einen Referenzpunkt in der Modernitätskritik, denn er setzt der Konzeption des Individuum-Subjekts der Vermittlung und des Transzendentalen, das den Begriff der Modernität von Descartes, Hegel bis Hiedegger bildet, die Konzeption eines kollektiven Subjekts der Liebe und des Körpers als Vermögen der Präsenz entgegen. Er konstituiert eine Theorie der Zeit, die lossgerissen ist vom Finalismus und die eine Ontologie begründet, die als Konstitutionsprozess aufgefasst wird.

Spinoza bilde keine alternative Modernitätsauffassung, wie etwa so eine Position wie die Habermas‘, der wieder auf Hegelsche Denkfiguren zurückfällt.

[60] Spinoza redivivus ist anderswo. Er ist dort, wo die Spaltung, die am Ursprung der Modernität liegt, neuerlich aufgegriffen wird – die Spaltung zwischen der Produktivkraft und den Produktionsverhältnissen, zwischen Vermögen und Vermittlung, zwischen Singularität und Absolutem. Nicht Alternative zur Modernität, sondern Antimodernität. Einige Autoren haben unseren Begriff der Antimodernität Spinozas mit Wohlwollen aufgenommen:

Althusser: "Spinozas Philosophie führt eine theoretische Revolution ohne Vorgängerin in die Geschichte der Philosphie ein – sicherlich die grösste Offenbarung der Philosophie aller Zeiten, sodass wir Spinoza überhaupt, vom philosophischen Standpunkt, als den einzigen Vorgänger von Marx erachten können." (Lire le Capital, vol II, p.50) Und warum: Weil Spinoza der Begründer einer absolut originalen Konzeption einer Praxis ohne Teleologie ist, weil er die Präsenz der Ursache in ihren Wirkungen und selbst die Existenz der Struktur in ihren Wirkungen und in der Präsenz gedacht hat. "Die ganze Existenz der Struktur besteht in ihren Wirkungen; die Struktur, die nur eine spezifische Kombination ihrer eigenen Elemente ist, ist nichts ausserhalb ihrer Wirkungen." (ibd., p.171)

Für Foucault transformiert Spinoza diese strukturale Originalität ohne Grundlage in den Mechanismus der Produktion von Normen, die sich auf ein gegenwärtiges Kollektiv stützen.

"Ebenso sieht man, dass für den Philosophen die Frage nach seiner Zugehörigkeit zu dieser Gegenwart, überhaupt nicht mehr die Frage nach seiner Zugehörigkeit zu einer Doktrin oder zu einer Tradition sein wird, auch nicht die einfache Frage seiner Zugehörigkeit zu einer menschlichen Gemeinschaft im allgemeinen, sondern jene seiner Zugehörigkeit zu einem gewissen ‚Wir‘, zu einem Wir, das sich zu einem kulturellen Ensemble, das charakteristisch für seine Aktualität ist, in Beziehung setzt. Es ist dieses Wir, das dabei ist, für den Philosophen der Gegenstand seiner eigenen Reflexion zu werden; gleichzeitig behauptet sich die Unmöglichkeit, eine Ökonomie der Befragung [61] durch den Philosophen, seiner singulären Zugehörigkeit zu diesem Wir zu betreiben. All das: die Philosophie als Problematisierung der Aktualität und als Befragung dieser Aktualität, von der er ein Teil ist, durch den Philosophen, und zu der er, indem er sich mit ihr in Beziehung setzt, sich verortet – all das kann sehr gut die Philosophie als Diskurs der Modernität und über die Modernität charakterisieren." (angeblich in Die Ordnung des Diskurses)

Die Antimodernität ist also ein Begriff der gegenwärtigen Geschichte, die neu auf dem Begriff einer kollektiven Befreiung gegründet wird. Als Grenze und Überwindung dieser Grenze. Als unendliche Wiederöffnung der Möglichkeit. Res gestae. Historische Praxis der Theorie.

 

Literatur dazu

Deleuze, Le bersonism, S. 49, 50

[Hegel, Logik, Mass; siehe Macherey, Hegel ou Spinoza

. [Vgl. Nancy, Hegel, 9f, bzw. 5: "Hegel ist der inaugurale Denker der heutigen Welt.", vgl. auch Zizek, Denn sie wissen nicht, 177f, bzw. 232f, vgl. auch Hegel, Recht, §360)]

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